Akimi Kin

 

Mein Filmfestival

Erfahrungen einer Unwissenden, Zuschauerin und Mitarbeiterin

Bisher bin ich sehr selten ins Kino gegangen und habe nur sehr wenige Filme angeschaut. Es könnte sein, dass ich alle Filme, die ich gesehen habe, an den Fingern meiner beiden Hände abzählen kann. Ich kann nicht behaupten, dass ich früher großes Interesse an Filmen hatte. Dennoch habe ich den Film-Kurs belegt, da ich einfach etwas Neues und Fremdes ausprobieren wollte, so wie den Theater-Kurs letztes Semester. Der Theater-Kurs hat mich bei der Wahl des Filmseminars möglicherweise beeinflusst. Dadurch habe ich mich vielleicht mehr für das Schauspiel interessiert. So bin ich zu dem Kurs gekommen und habe das Filmfestival besucht, völlig unwissend über „Film“.

Mein Job als Gästebetreuerin hat meine Vorurteile über Leute im Showbusiness ausgeräumt

Wenn ich an das Filmfestival zurückdenke, fällt es mir zuerst meine Arbeit ein. Ich habe beim Festival als Gästebetreuerin gearbeitet. Das war auch mein erster richtiger Job in meinem Leben. Von 17. bis 19. November habe ich den chinesischen Regisseur Shujun Wei und die Produzentin Ying Liang betreut. Meine Aufgabe war, die Gäste zu den Pflichtterminen zu begleiten, vor allem zu den Aufführungen ihres Films. Sie sollten vor den Vorstellungen zu einer Begrüßung anwesend sein und danach für ein Gespräch über den Film zur Verfügung stehen. Ehrlich gesagt hatte ich bisher ein Vorurteil gegenüber Leuten, die im Showbusiness arbeiten. Sie erschienen mir oft ein bisschen hochmütig. Aber sie waren tatsächlich sehr nett, und man konnte leicht mit ihnen reden, deswegen wurde mein Vorurteil umgestoßen. Die Gäste waren so selbstständig und flexibel, dass ich sie nicht die ganze Zeit begleiten musste. Sie kamen übrigens nur zur Begrüßung bei der ersten Vorführung ihres Films und wollten nur bei den Q&As der nächsten Tage erscheinen. Das musste ich meiner Vorgesetzten mitteilen, ansonsten war der Job überhaupt nicht schwierig, ich hatte sogar das Gefühl, dass ich etwas zu wenig getan habe.

Meine Filme

Während des Festivals habe ich die folgenden Filme angeschaut:

  • „Day of the fight“ (USA, 2023)
  • „Only the river flows“ (China, 2023)
  • „Perfect Days“ (Japan, Deutschland, 2023)
  • „An Endless Sunday“ (Italien, Deutschland, 2023)
  • „Following the Sound“ (Japan, 2023)
  • „Critical Zone“ (Iran, Deutschland, 2023)

Ich habe vor dem Festival auf der Homepage die Kurzkommentare zu allen Filmen gelesen, die Trailer angesehen und die Filme, die mir am interessantesten erschienen, ausgewählt. Tatsächlich interessierten mich noch viel mehr als die oben genannten Filme, aber da sich die Vorführzeiten oft mit meinem Festival-Job überschnitten haben, konnte ich leider nicht alle anschauen. Nach der zeitlichen Abstimmung mit meinem Arbeitsplan habe ich auch Filme geschaut, die ich am Anfang eigentlich nicht eingeplant hatte. Dieser Umstand hat mir eine Menge unerwarteter Gedanken beschert.

„Critical Zone“ und „Only the River Flows“, waren die Filme, die mich am meisten beeindruckt haben.

„Critical Zone“ hat mich begeistert

„Critical Zone“ ist ein Film von Ali Ahmadzadeh, produziert im Jahr 2023. Der Film handelt von dem Leben eines Drogendealers. Ich war begeistert, weil der Film sehr realistisch war und die Einsamkeit und Vielschichtigkeit des Menschen gut widerspiegelt. Der Drogendealer war nicht ein böser, gewalttätiger Mensch, wie man sich oft einen Drogendealer vorstellt, sondern eher ein sensibler, nachdenklicher, ruhiger und einsamer Mensch. Und am auffälligsten ist die Szene, in der sich eine sehr elegant gekleidete, feine Frau wie eine Verrückte verhält und sich in eine andere Person verwandelt, nachdem sie im Auto des Drogendealers Drogen genommen hat. Dies hat den Kontrast zwischen vor und nach dem Drogenkonsum sehr lebhaft und eindringlich dargestellt. Der Film hat mir eine Seite der Welt gezeigt, die ich nie betreten habe.

Ist ein Regisseur dafür verantwortlich, dass die Zuschauer den Film verstehen?

Ehrlich gesagt habe ich den Film „Only the River Flows“ nicht so gut, vielleicht gar nicht verstanden. Das war ein Krimi, aber es wurde nicht klar, wer der Täter war. Ich interessiere mich eigentlich sehr für Krimis, dennoch hat der Film mir nicht so gut gefallen. Die Story war meiner Meinung nach zu durcheinander. Bei dem Filmgespräch nach der Vorführung habe ich dann erfahren, dass ich nicht die Einzige war, die den Film nicht so gut verstanden hat, sondern es vielen anderen ebenso erging. „Only the River Flows“ ist ein Werk von Wei Shujun und ist im Jahr 2023 entstanden. Es ist die Geschichte eines Polizisten, der auf der Suche nach dem Mörder einer älteren Frau auf verschiedene Verdächtige stößt, dem Fall aber nicht auf den Grund gehen kann und langsam verrückt wird. Mit Hilfe der Erklärungen des Regisseurs habe ich begriffen, dass der Täter ein Irrer war und es unmöglich ist, sein Motiv für den Mord zu verstehen. Der Regisseur hat auch gesagt, dass alle den Film unterschiedlich verstehen können, sowie "There are a thousand Hamlets in a thousand people's eyes". (Ich weiß nicht, woher der Satz ursprünglich kommt, aber das ist ein Sprichwort, das viele Chinesen verwenden.) Da kamen mir Zweifel, ob ein Regisseur dafür verantwortlich sein soll, den Film für die meisten Zuschauer verständlich zu machen. Wenn die Meinungen über einen Film bei vielen Leuten auseinandergehen, sie andere Ansichten als der Regisseur haben oder sogar den Film nicht gut verstehen, ist es dann ein guter Film? Ich konnte nicht erkennen und verstehen, was der Regisseur den Zuschauern mit diesem Film mitteilen wollte. Ein Film sollte aus meiner Sicht in der Lage sein, von den Leuten allein verstanden werden zu können, auch ohne eine anschließende Q&A-Session. Der Film an sich hat mir zwar nicht so richtig gefallen, es war trotzdem sinnvoll, ihn anzuschauen, denn er hat mich dazu gebracht, viel über Filme nachzudenken.

Mein unerwarteter Einsatz als Dolmetscherin

Als ich die chinesischen Gäste betreut habe, wurde ich von meiner Vorgesetzten gefragt, ob ich auch noch die Betreuung eines japanischen Regisseurs, Kyoshi Sugita, übernehmen könnte. Ich habe zugesagt und Kyoshi Sugita von 22. bis 24. betreut. Es geschah dann aber etwas Unerwartetes. Ich habe Herr Sugita zur Begrüßung vor der Vorführung seines Films begleitet. Im Kino wurde uns mitgeteilt, dass keine Dolmetscher zur Verfügung stünden. Daher mussten ich und eine italienische Frau, die perfekt Deutsch spricht und Japanologie studiert hat, bei den Q&As als Aushilfsdolmetscher fungieren.

„Following the Sound“ ist ein ruhiger und feiner und sehr japanischer Film

Ich habe den Film von Kyoshi Sugita gesehen, der „Following the Sound“ heißt. Die Protagonistin Haru spricht auf der Straße Yukiko und Tsuyoshi an und führt sie dadurch aus ihrem Kummer und ihren Schwierigkeiten heraus. Während sie Zeit mit ihnen verbringt, setzt sie sich mit ihren eigenen Gefühlen für ihre Mutter und ihrem eigenen Kummer auseinander. Das war ein sehr ruhiger und feiner Film, der ich als „sehr japanisch“ sehen würde. Bei dem Gespräch mit dem Regisseur danach haben ich und die italienische Frau zusammengearbeitet und es irgendwie geschafft, zu dolmetschen. Wir hatten eigentlich vereinbart, dass sie das Japanische ins Deutsche übersetzt und ich das Deutsche ins Japanische. Allerdings hat sie den größten Teil der Arbeit erledigt, da ich die deutschen Fragen des Publikums manchmal nicht verstand oder sie nicht zuverlässig übersetzen konnte. Ich habe nur ein paar Übersetzungen gemacht und ihr ansonsten ein bisschen geholfen, wenn sie Schwierigkeiten mit Japanisch hatte. Es war eine Aufgabe, die mir sehr kurzfristig übertragen wurde, auf die ich überhaupt nicht vorbereitet war. Mit weniger als drei Jahren Deutschkenntnissen und ohne Erfahrung als Dolmetscherin war es sehr schwierig. Ich habe es nicht gut gemacht, aber als Studentin von Fremdsprachen war es eine sehr tolle Erfahrung. Ich habe erneut festgestellt, dass die Dolmetscher wirklich erstaunliche Personen sind.

Die ungewöhnliche Arbeitsweise der Regisseurs Kyoshi Sugita

Mit Kyoshi Sugita
Nach der Veranstaltung hatte ich noch die Gelegenheit mich mit Kyoshi Sugita zu unterhalten. In meiner Vorstellung ist der Regisseur derjenige, der zuerst das Drehbuch erstellt, die Schauspieler auswählt und dann den Film dreht. Aus den Gesprächen mit ihm erfuhr ich, dass dies nicht der Fall ist und dass er, wenn er beschließt, einen Film zu drehen, zunächst die Darsteller auswählt, die in dem Film auftreten werden, und er dann das Drehbuch mit Blick auf diese Personen erstellt, das aber nicht in allem festgelegt ist. Mit anderen Worten: Wenn er die Schauspieler auswählt, die in seinem Film auftreten werden, gibt es noch keine Geschichte. Er gibt auch nicht zu viele Anweisungen am Set, sondern scheint den jeweiligen Mitarbeitern zu vertrauen, ihre Ideen und Vorgehensweisen zu respektieren und sich nicht in den Prozess einzumischen. Außerdem ermöglicht die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Filmaufnahme kein fertiges Drehbuch erstellt wurde, dass die Vorkommnisse während der Dreharbeiten in den Film einfließen können. Zum Beispiel hat die Figur Yukiko in diesem Film mehrmals Omeletts zubereitet. Als Gericht in der Filmhandlung wurde Omelett ausgewählt, weil die Vermieterin eines Zimmers, das die Filmcrew gemietet hatte, zuvor Omeletts zubereitet hat. Ich fand Kyoshi Sugitas Art der Leitung ziemlich willkürlich und ungewöhnlich. Es war sehr interessant für mich, dem dem Regisseur zu sprechen, da sich einige Stereotypen, die ich über Regisseure hatte, als falsch erwiesen.

Das Festival hat mir unerwartete und vielfältige Erfahrungen beschert

Vor Beginn des Festivals hatte ich einfach nur erwartet, beim Filmfestival einige Filme zu schauen. Mein Filmfestival war tatsächlich etwas anderes. Es ist viel mehr geschehen, und das Festival hat mir zahlreiche unerwartete und vielfältige Erfahrungen beschert.

 

Über mich

Ich heiße Akimi Kin (mein chinesischer Name ist Qiushi Jin) und komme aus Japan und China. Seit März 2023 mache ich einen Austauschstudium an der Universität Heidelberg. Ich bleibe noch bis Februar 2024 in Deutschland.