Ayumi Kunisada

 

Mein Filmfestival

Zusammen Kino erleben

Wenn ich gefragt werde, was mir während des 72. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg am besten gefallen hat, werde ich antworten: die ganze Atmosphäre! Das IFFMH war das erste Filmfestival in meinem Leben. Ich habe mich gefreut, während meines zeitlich begrenzten Austauschstudiums diese kostbare Gelegenheit wahrnehmen zu dürfen. Zu diesem Festival sind verschiedene Leute gekommen, deren Sprache, Kultur oder Nationalität unterschiedlich sind. Aber weil wir die gleichen Filme sehen, sind solche Dinge wirklich egal. Ich hatte das Gefühl, dass wir beim Sehen der Filme ähnliche Emotionen erlebten und miteinander teilen konnten. Dieses Gefühl war mein Highlight bei dem Filmfestival. Als meine Lieblingsfilme kann ich ein paar Titel nennen, trotzdem ist der Film, der mich am meisten fasziniert hat, Perfect Days von Wim Wenders. Obwohl ein Deutscher das Drehbuch und die Regie für diesen japanischen Film übernommen hat, war der Film unglaublich einfühlsam, und es gab mehrere Szenen, bei der ich als Japanerin richtig gut mitfühlen konnte.

Ohne den Kurs hätte ich dieses wundervolle Festival wohl nicht besucht

Ich möchte hier kurz meine Vorgeschichte erzählen, also warum ich mich für den Filmkurs angemeldet habe. Wenn ich mich nicht für diesen Kurs angemeldet hätte, hätte ich dieses wundervolle Filmfestival wohl nicht besucht. Seit langem schaue ich sehr gern japanische Filme. Als ich noch klein war, habe ich öfter als heute ausländische, besonders englische Serien geguckt. Seit Anfang September 2023 wohne ich als Austauschstudentin in Deutschland, hauptsächlich um Deutsch zu lernen, deshalb wollte ich mit Spaß die Sprache lernen. Aus diesem Grund habe ich die Entscheidung getroffen, den Kurs „Deutsch in Filmen“ am Internationalen Studienzentrum der Universität Heidelberg zu besuchen. Bevor der Kurs begonnen hat, hatte ich keine Ahnung, was ich lernen werde. Vorher dachte ich einfach, ich schaue mit anderen Menschen Filme an und tausche mich danach mit ihnen aus, diskutiere Eindrücke und Interpretationen mit ihnen. Anders als ich erwartet habe, war der Inhalt des Kurses viel spezieller und praktischer. Wir haben zweimal Gäste aus dem IFFMH-Team eingeladen - Herrn Jan-Philipp Possmann und den Festivalleiter Herrn Dr. Sascha Keilholz - und ihnen Fragen gestellt. Es war auch unerwartet, dass ich während des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg Überraschungen erlebte, ein Festival-Tagebuch führen und nach dem Festival einen Erfahrungsbericht verfassen musste.

Festivalleiter Dr. Sascha Keilholz im Gespräch mit Studierenden der Universität Heidelberg
 
Meine Filme

Während des Festivals habe ich die folgenden neun Filme gesehen:

  • Day of The Fight
  • Bitten
  • Perfect Days
  • Touched
  • Tony, Shelly und das magische Licht
  • The Red Suitcase
  • Delegation
  • Family Portrait
  • All of Us Strangers.

Ungefähr eine Woche vor dem Screening habe ich auf der Webseite des IFFMH die kurzen Handlungsbeschreibungen und Informationen zu allen 72 Titeln überflogen. Bei dem Festival wurden relativ neue Werke gezeigt, die erst vor Kurzem gedreht wurden, Man konnte aber auch ein paar klassische Filme wie The Misfits oder On The Waterfront finden. Von den oben genannten Filmen habe ich mich besonders angezogen gefühlt. Es war überraschend, dass die Filme, die ich auf jeden Fall schauen wollte, in den meisten Fällen nicht mein Ding waren. Auf der anderen Seite haben die Filme, die ich nicht unbedingt anschauen wollte, mich fasziniert. Davon waren die folgenden vier meine Lieblingsfilme: Perfect Days, The Red Suitcase, All of Us Strangers und Day of The Fight.

Mein Lieblingsfilm „Perfect Days“ ist  langsam und ruhig, aber eng mit unserem Leben verknüpft

Der Film Perfect Days hat mir am besten gefallen. Dieser ist ein japanisches Drama von Wim Wenders aus dem Jahr 2023. Das Werk spielt in Tokyo und die Handlung geht wie folgt: Hirayama, ein Toilettenreiniger, bestreitet seinen strukturierten Alltag. Unter der Woche steht er früh auf, hört bei der Fahrt zur Arbeit englische Rockmusik von Audiokassetten und liest jeden Abend gebrauchte Taschenbücher. Mit seinem einfachen und zurückgezogenen Leben scheint er vollkommen zufrieden zu sein. Durch mehrere unerwartete Begegnungen kommt allmählich seine Vergangenheit ans Licht. Als Japanerin habe ich Nostalgie verspürt, denn so viele Landschaften, an die ich mich gewöhnt habe, wurden gezeigt. Ich glaube, dass der Film sich vor allem auf die vorübergehende Schönheit fokussiert hat. Die Hauptfigur liebt sein regelmäßiges Leben. Nach der Arbeit geht er immer in ein Sentō, ein traditionelles japanisches Badehaus, aber keine Sache existiert ewig. Eines Tages wird es plötzlich zerstört. Genauso verändern sich Hirayamas Freundschaften und seine Umgebung. Und das kann uns auch passieren. Manchmal frage ich mich, warum die Schönheit nicht ewig ist. Es würde mich freuen, wenn sie für immer andauern könnte. Wir können sie aber als wertvoll sehen, weil sie ein Ende hat oder sich ändern kann. Wir leiden manchmal unter Trauer oder Kummer. Solche unendlich verschlungenen Pfade des menschlichen Lebens und Momente, in denen man mit etwas kämpft, sind auch schön und wertvoll. Wenn ich jemandem dieses Werk empfehlen würde, würde ich so sagen: Dieser Film ist langsam und ruhig, aber er ist eng mit unserem Leben verknüpft. Wenn du geistig erschöpft oder frustriert bist, kann dich dieser Film wahrscheinlich aus der Anspannung entlassen.

Die „Opening Night“ mit „Day of The Fight” war überwältigend

Neben den Filmen habe ich insgesamt drei Rahmenveranstaltungen besucht, nämlich die  Opening Night mit Day of The Fight, die Lesung von Stephanie Schneider „Grimm und Möhrchen“ und die Interaction Performance: Lorenzo Ponteprimo. Unter ihnen war die Opening Night mit der Vorführung von Day of The Fight besonders beeindruckend. Ich war noch nie auf einem Filmfestival, deshalb wurde ich von der Begeisterung im Saal 10 des „Cineplex“ in Mannheim überwältigt. Zuvor hatte ich gedacht, dass ich den Film Day of The Fight nicht unbedingt sehen wollte, aber dieser wurde nach der Vorführung sofort einer meiner Favoriten. Das Ende dieses Filmes kann man vielfältig interpretieren. Als ich am Abend unterwegs war, hat es mir Spaß gemacht, mit meiner Freundin aus dem Filmkurs darüber zu diskutieren, was der Hauptfigur am Ende passiert ist. Es war auch eine neue Erfahrung für mich, einen Schwarzweißfilm im Kino zu sehen.

Überraschend offene Kritik bei einer Q&A-Session

Was mich sonst noch überrascht hat, war ein Ereignis bei der Q&A-Session von Family Portrait. Ein Mann hat auf Englisch gesagt, dass er enttäuscht war und dass er seine Zeit verschwendet hat. Ich habe keine Erfahrung mit Filmfestivals und den zugehörigen Gesprächen zwischen den Zuschauern und dem Regisseur. Außerdem habe ich in den anderen Filmgesprächen nur positive Reaktionen, Kommentare oder einfach nur Fragen gehört, deswegen habe ich mich gewundert, dass man bei der Q&A-Session nicht nur Fragen stellt, sondern auch Kritik direkt äußern kann. In Japan wäre so etwas sehr unhöflich und würde nicht passieren, weil Japaner nicht direkt Kritik äußern.

Gemeinsam Filme anzusehen ist eine wirklich merkwürdige Sache

Der große Saal im Karlstorbahnhof Heidelberg
Beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg konnte ich viele neue Erfahrungen sammeln. Seit September 2023 wohne ich in Deutschland und bleibe für ein Jahr. Das ist in meinem ganzen Leben eines der großen Abenteuer, weil ich vorher noch nicht so etwas gemacht habe. Vor dem Festival habe ich im Alltagsleben schon viele Unterschiede zwischen den beiden Ländern, Japan und Deutschland, wahrgenommen. Die Kultur, die Sprache und die Landschaften, die man in der Stadt sehen kann, sind natürlich komplett anders. Was mich bis heute besonders überrascht, ist die Zahlungsmethode beim Bus-, Bahn- und Zugfahren. In Japan muss man zum Ein- und Ausstieg seine IC-Karte, eine Prepaid-Karte für das Zugfahren, auf den Fahrkartenschalter legen und das Geld wird dann automatisch abgezogen. Dagegen muss man hier nicht unbedingt eine Fahrkarte haben. Um genau zu sein, muss man eine kaufen, aber man kann eigentlich ohne Tickets im öffentlichen Verkehr unterwegs sein, solange es keine Kontrolle gibt. Wie ich gerade erwähnt habe, kann man sichtbare Ereignisse oder Differenzen, die im täglichen Leben passieren, viel schneller bemerken. Im Gegensatz dazu sind die Aktionen wie Filme anzusehen oder ins Kino zu gehen, eine wirklich merkwürdige Sache. Gibt es außer im Kino die Möglichkeit, dass man lange Zeit mit sehr vielen Fremden auf einen riesigen Bildschirm mit dem Format 16:9 schaut, gleichzeitig Popcorn isst und Coke schlürft, mal lacht mal weint? In einem großen Saal verfolgen wir gemeinsam Geschichten, manchmal von einem amerikanischen Boxer, manchmal von einem japanischen Putzmann in öffentlichen Toiletten. Wenn ich meine Augen schließe und an dieses Filmfestival denke, fallen mir die Lounge und der große Saal im Karlstorbahnhof in Heidelberg ein. Der Grund dafür könnte sein, dass ich einfach mehrmals dorthin gegangen bin. Die chillige Atmosphäre in den zwei Räumen rufen schöne Erinnerungen in mir hervor. Ich habe das Gefühl, dass ich beim Betrachten der Filme die emotionale Seite von anderen sehen oder verstehen konnte. Das Innere von Menschen ist wie eine Black Box. Niemand kann wissen was andere fühlen, bis sie sich selbst „verraten“.

Das Filmfestival hat mich an den ursprünglichen Sinn des Kinos erinnert

Diese Veranstaltung nennt sich „Internationales“ Filmfestival, und Leute aus der ganzen Welt haben sich in den zwei Städten versammelt. Alle im Saal haben einen eigenen kulturellen Hintergrund, eigene Kompetenzen und Gedanken. Während wir alle denselben Film schauen, der Q&A-Session zuhören und einige Frage stellen, können wir uns jedoch emotional miteinander verbinden und sicherlich etwas unsere Kritik und Meinungen teilen. Heutzutage nimmt die Anzahl der Menschen zu, die Filme zu Hause allein oder mit ihren Familien über Streaming-Portale schauen. Das ist schon super, und ich selbst habe einen Streaming-Service abonniert. Ich will trotzdem weiterhin das Kino besuchen, nicht nur um neue Filme zu sehen, sondern auch um die Stimmung zu genießen, um mich mit anderen Meinungen auszutauschen. Mir fällt es jetzt noch ein, dass es ebenfalls eine wundervolle Idee ist, meinen Erfahrungsbericht auf dieser Webseite zu posten. Das 72. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg hat mich wieder an den ursprünglichen Sinn des Kinos erinnert.

 

Über mich

Ich heiße Ayumi Kunisada und bin 21 Jahre alt. Seit drei Jahren studiere ich Germanistik an der Universität Saitama in Japan in der Nähe von Tokio. Zurzeit besuche ich als Austauschstudentin die Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg. Ich sehe gerne Filme und Serien, egal welchem Genre sie zugehören.