Dichang Ouyang



Mein Filmfestival

Wie ein Kaleidoskop

Ein abwechslungsreiches Wunder im Zeichen des Kulturaustauschs

Als ich hörte, dass unser Film-Kurs es erforderte, zum 72. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg (IFFMH) zu gehen und über die eigenen Erfahrungen bei dem Filmfestival zu schreiben, war ich begeistert und zugleich innerlich ein bisschen unruhig. Einerseits interessierte ich mich sehr für die vielen Filme und Veranstaltungen des Filmfestivals, beispielsweise die DJ-Tanzparty mit dem berühmten Schauspieler Lars Eidinger und die Treffen mit Regisseuren (bei den Filmvorführungen „mit Gästen“ und den „Masterclasses“). Andererseits hatte ich Angst, dass die von mir ausgewählten Filme schlecht sein könnten. Im Rückblick kann ich jetzt sagen, dass sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet hat. Das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg war für mich wie ein Blick in ein Kaleidoskop, ein abwechslungsreiches Wunder im Zeichen der Filmkunst und des Kulturaustauschs.

Der fröhliche Austausch mit Jack Huston

Zusammen mit Jack Huston

Wenn ich jetzt an das IFFMH denke, fällt mir besonders der zufällige, aber gleichzeitig fröhliche Austausch mit Jack Huston ein. Er ist der Regisseur des bei der Opening Night gezeigten Films „Day of the Fight“, ein erfolgreicher Hollywood-Schauspieler und der Enkel der Film-Legende John Huston, der z.B. den Film „The Misfits“ mit Marilyn Monroe drehte. Ich traf Jack Huston bei einer Party im Karlstorbahnhof. Alle warteten auf den DJ Lars Eidinger, und ich tanzte im Rhythmus der Diskomusik, als mich Herr Bürkert in freudiger Aufregung fragte, ob der Mann hinter uns Jack Huston sei. Er war es. Nach kurzem Zögern sprachen wir ihn an, worüber er sich sehr freute, und es entspann sich ein interessantes und fröhliches Gespräch zwischen Jack Huston und uns.

Hier möchte ich auch erklären, warum ich mich für diesen Kurs entschieden habe. Tatsächlich war meine Wahl des Kurses ein reiner Zufall. Ich bin ein Erstsemester eines Masterstudiums an der Universität Heidelberg. Viele meiner Kommilitonen belegen Deutschkurse am Internationalen Studienzentrum (ISZ). Dadurch erfuhr ich von der die Existenz dieses Instituts. Neugierig studierte ich das Kursangebot des ISZ und entdeckte diesen Kurs, der den Besuch des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg als Schwerpunkt hatte. Ich erinnerte mich daran, dass ich während meines Grundstudiums am Filmfestival in Peking teilgenommen habe. Dieses Festival war voller Anregungen für mich und hat mir eine reiche Ernte beschert. Aufgrund meiner interkulturellen Erfahrungen und meines Interesses an Filmen und Filmfestivals habe ich mich unverzüglich für den Filmkurs am Internationalen Studienzentrum entschieden.

Meine Filme

Ich habe folgende 13 Filme bei dem Festival gesehen:

  • Day of the Fight
  • Melk
  • The Sweet East
  • Only the River Flows
  • Hit Man
  • Beau Travail
  • Ein Platz an der Sonne
  • Family Portrait
  • Kiddo
  • Wild Side
  • All of Us Strangers
  • Die Faust im Nacken
  • Der Pate-Teil II

Ich habe diese 13 Filme aus verschiedenen Gründen ausgewählt. Bei einigen Filmen interessierte ich mich für ihre Themen, wie z. B. bei The Sweet East und All of Us Strangers, die zu meinen Lieblingsfilme wurden, auch wenn ihre Themen und Filmtechniken sehr unterschiedlich sind, wie ich später im Detail erklären werde. Only the River Flows ist ein chinesischer Film, der vor nicht allzu langer Zeit in China in die Kinos kam, so dass meine chinesischen Kommilitonen mir empfohlen haben, diesen Film zu sehen. Beau Travail ist das Werk Agnès Godards, die zu einer Masterclass eingeladen war. Um zu verstehen, was sie über Kinematographie und Fotografie zu sagen hat, musste ich diesen Film auswählen. Außerdem habe ich einige Filme angesehen, die uns Jan Philipp Possmann empfohlen hat, der vor dem Festival in unserem Kurs war, wie Hit Man und Family Portrait. Ausgewählt habe ich auch einige Filme aus der Sektion „Retrospektive“, also Klassiker der Kinowelt, denen ich bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Leider konnte ich wegen meines täglichen Unterrichtsplans nicht alle Filme sehen, die ich hätte sehen wollen, wie Die Siedler und The Red Suitcase.

Als ich meine ausgewählten Filme sah, war ich überrascht, dass einige meine Erwartungen übertrafen, manche auch in negativer Weise. Als Beispiel möchte ich Beau Travail anführen. Vielleicht liegt es an meiner Unkenntnis der Filmtechniken, der französischen Kinematographie und der „Meta-Themen“ oder daran, dass ich eine vorgefasste Meinung oder sogar ein Vorurteil darüber habe, was ich von einem Film mit einem LGBT-Thema zu erwarten habe. Ich hatte bisher selten Interesse an dieser Art von Filmen. Wie dem auch sei, ich bin während Beau Travail eingeschlafen, sogar zweimal. Erst als ich anschließend mit meinen Kommilitonen in der Karlstorbahnhof-Lounge über die Filmtechniken diskutierte und einer von ihnen den ausgiebigen Einsatz von Teleobjektiven und die dazugehörigen Großaufnahmen erwähnte, begann ich darüber nachzudenken, warum dieser Film so erfolgreich ist, obwohl keine klaren Höhepunkte oder eine klare Erzählung zu erkennen ist. Allein schon aus der Sicht der Kameraführung und der Filmtechnik spricht dieser Film sehr viele Leute an.

Es gab noch einen anderen Film, den ich nicht verstehen konnte, obwohl ich es versucht habe und der Regisseur beim anschließenden Gespräch mit dem Publikum aufmerksam auf dessen Fragen einging. Dieser Film heißt Familiy Portrait, und obwohl ich schon beim Anschauen des Trailers und bei der Suche nach der Filmbeschreibung auf Google erfahren hatte, dass es in diesem Film keinen Handlungsstrang, keine Höhen und Tiefen und auch keinen Kontrast in der Darstellung der Emotionen der Protagonisten gibt, geht es in diesem Film um eine reine Familienszene. In dieser Szene möchte die Tochter ein Familienfoto machen, aber ihre Mutter verschwindet auf mysteriöse Weise. Für mich ist es verwirrend, warum der Film so viel Wert auf das Verschwinden der Mutter legt und was das Verschwinden der Mutter mit dem unerwarteten Todesfall des Kinds eines Bekannten zu tun hat. Der Film ist für mich zu fade und die Kameraführung erscheint mir nicht ideal.

Der unerbittliche Humor von Richard Linklater in „Hit Man“

Neben meinen beiden Lieblingsfilmen, The Sweet East und All of Us Strangers, auf die ich später eingehen werde, bevorzuge ich diesen Film: Hit Man erzählt die Geschichte eines Undercover-Polizisten, genauer gesagt einer Aushilfe, der als scheinbarer Auftragskiller die Auftraggeber von Morden überführen soll. Er verliebt sich im Laufe seiner Aufträge in eine Auftraggeberin und muss alles tun, um das Verbrechen der Frau geheim zu halten, die den Plan hatte, ihren Mann zu ermorden.

Der unerbittliche Humor des Regisseurs Richard Linklater kommt in diesem lebhaften Film in amerikanischem Stil voll zur Geltung. Der Regisseur dekonstruiert die philosophische Innenwelt des hit man und vollendet die Verwandlung des Helden von einem Mann mit wenigen Worten zu einem gesprächigen Mann, dann zu einem Mann mit Redekunst, dann zu einem Mann, der sich an die Anforderungen und Vorlieben eines Kunden anpassen kann, dann zu einem Mann mit sehr hoher Improvisationsfähigkeit und endlich zu einem perfekten Komplizen, der fast Alleskönner und Alleswisser wird. Vielleicht ist die Absurdität des Lebens in gewisser Art und Weise selbst die größte Lachnummer. Der Regisseur fügt viele philosophische Dialoge in die Haupthandlung ein, und diese philosophischen Gedankengänge, gepaart mit moralischen Dilemmas und einigen spannenden Elementen, machen diesen kommerziellen Film noch ansprechender, attraktiver und lebhafter. Im nicht so guten Kino des Karlstorbahnhofs, in dem alle Stühle in gleicher Höhe gestellt waren, wurde beständig gelacht, und der zweistündige Film war ein gutes Erlebnis. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass dieser Film eine Art reiner Freude bereitet, an die man auch nach dem Essen noch denken und sich sogar an den einen oder anderen „Joke of language“ aus ihm erinnern kann.

Mein erster Lieblingsfilm: „The Sweet East“

Endlich ist es an der Zeit, auf zwei meiner Lieblingsfilme einzugehen, die schon erwähnt wurden. Ich möchte mit The Sweet East beginnen. Dieser amerikanische Film kam 2023 in die Kinos und wurde von Sean Price Williams inszeniert. Der Film hat auch den Rainer Werner Fassbinder Award des Filmfestivals gewonnen, der mit 15.000 Euro dotiert war. In den Hauptrollen spielen Talia Ryder, eine berühmte neue amerikanische Schauspielerin, sowie die Schauspieler(innen) Jacob Elordi, Simon Rex, Ayo Edelbiri, Rish Shah und andere, die in den einzelnen Handlungssträngen wichtige Rollen spielen.

Scherzhaft und schmerzhaft

Der Film wird in lebhaften, scherzhaften aber schmerzhaften Handlungen als Selbstentdeckungsreise einer High-School-Schülerin durch das heutige Amerika beschrieben. Auf einer Klassenfahrt nach Washington, D.C. wird die aus South Carolina stammende Lillian von ihren Mitschülern getrennt. Auf ihrem Weg entlang der Städte und Wälder der Ostküste begegnen ihr mehrere „Gatekeeper“, die sie für sich einnehmen wollen. Auf diese Weise erhält die junge Frau Zugang zu den merkwürdigsten Sekten und Kulten, die sich im Land ausbreiten.

Die Protagonistin sieht die Unruhe und die Gefahr von Washington, D.C., und erkundet verschiedene Welten und kommt mit unterschiedlichen, geheimnisvollen Menschen in Kontakt, und die Handlung wird in 6 Segmente in einem fast traumhaften Filmstil aufgeteilt. Zu Beginn wird Lillian von einem Hippie-Anarchisten während einer Schießerei in einer Bar im Keller gerettet, aber der Hippie will sie nur in das Leben seiner schlüpfrigen Hippie-Bande einführen und versucht, ihren Körper zu „teilen“, indem er sie bezwingt und vergewaltigt. Lillian verlässt die Hippies ohne zu zögern, nachdem sie ihr sinnloses Gebrüll in der Wildnis erschallen ließen und ihre politischen Ambitionen zur Schau gestellt haben. Auf ihrem Weg nach draußen trifft sie auf eine Gruppe weißer Rassisten, deren religiöser Führer sie sogar in seinem Haus einsperren will, weil sie seiner Vorstellung von seiner verstorbenen Frau als junge Version seiner Frau entspricht. Er ist sowohl ein anständiger Professor als auch ein extremer weißer Rassist und jemand, der in Drogenhandel verwickelt ist. Nachdem es ihr gelungen ist, vor ihm zu fliehen, trifft sie sich mit zwei Filmemachern im Neo-Punk-Stil und gerät mit ihnen an einem fast schon absurden Filmset aneinander. Dann wird sie in einer schwindelerregenden Wendung der Ereignisse von einem radikalen Islamisten gerettet und in einer Hütte gefangen gehalten. Diese unterschiedlichen Charaktere und lebhaften Menschen schimpfen und toben, ohne auf die Anderen zu achten. Sie scheinen ständig mit ihren ideologischen Fahnen oder ihrer hemmungslosen Lebenseinstellung zu wedeln, doch in Wirklichkeit verbergen sich hinter dem Trubel des Lebens ihre unruhigen Herzen und ihre unglaublich wankelmütige Art, mit Menschen umzugehen.

Die Erzählung, die Handlung und die Hintergrundmusik gefallen mir. Ich würde diesen Film jedem empfehlen, der sich an der amerikanischen Mainstream-Kultur erfreut und die amerikanische Komödie und die Werte hinter dem multirassischen Amerika sehen möchte. Doch ist es nicht leicht zu sagen, was das Thema des Films ist, aber in Bezug auf seine Organisation ist Sweet East ein lockeres, flatterhaftes „Mumblecore“-Stück: Die dominierende Form des Films ist weitschweifiges Gerede zwischen Männern und Frauen im Stile einer Soap Opera. Und was den audiovisuellen Stil angeht, so scheint er mir von französischer Flamenco-Musik beeinflusst zu sein, was sich in einigen Passagen des Films widerspiegelt, in denen die Umgebung eine wichtige Rolle spielt, mit illusorischen Handlungsorten und anhaltenden, lauten Soundeffekten, die die Atmosphäre verstärken.

Mein zweiter Lieblingsfilm: „All of Us Strangers“

Ein weiterer Film, der mir besonders gut gefallen hat, war All of Us Strangers. Es ist ein Film, auf den ich mich schon lange gefreut hatte und der mich schließlich sehr beeindruckt hat.

Der Film wurde von Andrew Haigh 2023 inszeniert, der auch die früheren schwulen Komödien Looking und Weekend gedreht hat. Und die Schauspieler, die die Hauptrolle spielen, sind Andrew Scott, Paul Mescal, Jamie Bell und Claire Foy.

Die Thematik des Films beschränkt sich meiner Meinung nach nicht auf das alltägliche Leben der LGBT-Personengruppe, sondern dieser Film skizziert einen Schwulen mittleren Alters namens Adam, der sich an sein früheres Leben erinnert und sogar die Illusion aufbaut, dass seine Eltern noch am Leben sind. Er versucht zu vergessen, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, als er 12 war. Er reist mit dem Zug von London zurück in seine Heimatstadt, in das Haus, in dem er aufgewachsen ist, wo er mit seinen Eltern spricht, kuschelt, speist und in Erinnerungen schwelgt. Die Gesichter seiner Eltern haben immer noch das Alter, das der Zeit entsprach, als er zwölf Jahre alt war.

Realität oder Traum

In London begegnet Adam in dem fast leeren Apartmenthaus, in dem er wohnt, Harry, dem einzigen anderen Bewohner des Hauses. Harry beginnt, mit Adam zu flirten, kann aber dessen Interesse nicht wecken. Während Adam ein Fotoalbum betrachtet und in seine Erinnerungen zurückfällt, fährt er mit dem Zug zurück in seine Heimatstadt und trifft dort auf seine längst verstorbenen Eltern. Die Zuschauer verstehen nicht, brauchen aber auch nicht zu verstehen, ob es sich um eine Halluzination handelt oder ob er geistig gestört ist. Sie interpretieren die Szene als eine fantastische Begegnung und ein Wiedersehen. Adam betritt sein ehemaliges Zuhause wie in der Vergangenheit, seine Eltern lachen und sprechen über ihre vergangene Kindheit, und er taucht in die Atmosphäre des Wiedergeliebtwerdens ein, fühlt sich nirgendwo fremd und möchte dieses wunderbare Gefühl nur verlängern. Nachdem er in die Freude der Liebe seiner Familie eingetaucht ist, kehrt er in seine Wohnung in London zurück und trifft zufällig Harry wieder, und Adam begreift, dass er diese Gelegenheit nicht verpassen möchte. Seine romantische Begegnung mit Harry nimmt ihren Lauf, und Adam versucht, sein Leben in Ordnung zu bringen, aber er weiß selbst nicht, ob es Realität oder ein Traum ist.

Sehnsucht nach Liebe

Der Film basiert auf dem Roman Strangers (Originaltitel in Japanisch: 異人たちとの夏) des japanischen Autors Taichi Yamada und enthält zusätzlich eine homosexuelle Handlung, aber das Thema bleibt dasselbe: eine fantastische Geschichte von „Geistern und Menschen“. Ob es um Adams Gefühle und seine Sehnsucht nach seinen jung verstorbenen Eltern oder um seine Bindung an Harry geht, es geht immer um die Vorstellung vom Tod eines geliebten Menschen. Außerdem muss ich noch etwas über Harry ergänzen: Seine Existenz kehrt sich am Ende des Films um, als sich herausstellt, dass Adam sich auch Harry in seinem psychisch instabilen Zustand vorgestellt hat, d.h. er hat sich die Figur (also Harry) inmitten extremer Sehnsucht und unerträglichen Schmerzes nur vorgestellt. Wie reagiert er auf die Leere und Eintönigkeit seiner Wohnung? Wie verzweifelt sehnt er sich nach Erfüllung seiner Liebe? Seine extreme Sehnsucht nach Liebe spiegelt den Verlust geliebter Menschen wider, so dass er sich leicht beide Elternteile vorstellen kann, die er sehen kann, wenn er mit dem Zug nach Hause fährt, und auch einen "Geliebten", an den er sich zu anderen Zeiten kuscheln kann. 

Andrew Scott (Adam) und Paul Mescal (Harry) in "All of Us Strangers"

Ich hatte während des Films ein paar Tränen in den Augen, und zwar fünfmal. Der irische Akzent Adams ist berauschend und hüllt die geradlinige Handlung in einen Nebel. Das Wiedersehen zwischen dem Helden und seinem Vater hat etwas von einer „Kreuzfahrt“ nach Hause, und der Regisseur verweist auf die Tatsache, dass so viele Beziehungen in unserem Leben aus dieser einen alltäglichen Liebe entstanden sind. Durch die Neufassung der Romanvorlage hat der Regisseur das Charakteristikum und die Wahrnehmung Englands hinzugefügt. Der Originalroman wurde von einem japanischen Autor geschrieben, was ich als Ostasiat gut nachvollziehen kann. Ostasiaten lassen in ihren Werken gerne etwas Freiraum, und in diesem Freiraum gibt es mehr Spiritualität und eine subtile Form des Erzählens Dieser Film erinnerte mich an zwei andere japanische Filme, Shoplifters - Familienbande (Originaltitel: 万引き家族) und Nokan - Die Kunst des Ausklangs (Originaltitel: おくりびと), in denen es ebenfalls um die Wärme der menschlichen Nächstliebe geht und nicht um die Elemente, die eine Familie ausmachen – also die Blutsverwandtschaft.

Die Farbgestaltung

Es lohnt sich auch, die Farbgestaltung von All of Us Strangers zu analysieren: Es gibt einen überwiegend blauen Farbton, der die Hauptfigur Adam und seinen Liebhaber Harry mit einem unantastbaren Sinn für Rücksichtnahme darstellt. Und auch gibt es einen grünen Ton, der seine Wiedervereinigung mit seiner Familie und sein glückliches Leben zu Hause zeigt. Es gibt außerdem auch einen orangenen Farbton, der mit dem Tod assoziiert wird. Oft blickt Adam in den Spiegel, während sich die Farben verändern, als ob er in einen Abgrund blicken und der Abgrund auf ihn zurückschauen würde.

Die Kameraführung des Films ist sehr subtil, ohne besonders viele Auf- und Untersichten, mit flachen Bewegungen, um die Reichweite des Verhaltens der Figuren voranzutreiben. Nur in einer Szene ist die sonst statische Kamera aus ungewissem Grund in Bewegung geraten, und das Ausmaß, in dem die Handkamera-Szene wackelt, zeigt auch den emotionalen Zustand des Auf und Ab, und die Aufnahme beim Abschied von seinen Eltern ist dieselbe wie beim ersten Mal, als er sich mit ihnen zusammensetzt.

Mit  All of Us Strangers scheint Andrew Haigh ein neues Schaufenster zu öffnen

Bei der weiteren Suche nach Informationen fand ich heraus, dass das frühere Werk des Regisseurs Andrew Haigh, Weekend, ebenfalls ein Meisterwerk des LGBT-Genres war und von den Fans als einer der meistdiskutierten schwulen Liebesfilme bezeichnet wurde. Ebenso wie die Serie Looking (2014 – 2016), die er auch produziert hat. Neben der preisgekrönten Schauspielerei seiner Figuren und den alltäglichen, subtilen Plots ist Haighs Werk seit jeher für seine realistische Darstellung schwuler Charaktere und Beziehungen bekannt: Subtiles Heran- und Wegzoomen, dynamisch ausgewogene Duo-Aufnahmen und das Schaffen einer gemütlichen Atmosphäre, die einen eintauchen lässt in den Dialog, ziehen das Publikum in den Bann – und lassen es teilhaben an den Emotionen der Charaktere. Haighs bisherige Filme waren jedenfalls von einer stark realistischen (oder naturalistischen) Ästhetik geprägt und im gesellschaftlichen Leben verwurzelt, und so scheint sein neuer Film All of Us Strangers ein neues Schaufenster zu öffnen: Wie will er eine Zone zwischen dem Metaphysischen und der Realität entfalten? Ich glaube, dieser Film gibt eine gute Antwort darauf.

Insgesamt hinterlässt All of Us Strangers beim Zuschauer einsames Gefühl: Die Eltern und der Liebhaber, die Adam emotional und auch seelisch am nächsten stehen, sind keine lebenden Menschen, und der ganze Prozess des Erwachsenwerdens und des Loslassens können nur in der Stille des Herzens stattfinden.

Meine Veranstaltungen

Nachdem ich mich über die Filme, die ich bei dem Festival gesehen habe, ausgelassen habe, möchte ich Ihnen erzählen, wie ich die Veranstaltungen empfunden habe, die ich besucht habe. Es waren insgesamt fünf:

1. Opening Night

2. Festival Frenzy mit Lars Eidinger

3. Panel: „Schaupiel“

4. Masterclass: Agnès Godard

5. Award Ceremony

Die zweite und dritte Veranstaltung haben mich am meisten interessiert. Die Tanzparty war sehr interessant, weil ich da endlich einen meiner deutschen Lieblingsschauspieler, Lars Eidinger, kennenlernte, der in der Festival-Lounge in Heidelberg als DJ auftrat. Und auch die am nächsten Tag stattfindende Podiumsdiskussion zum Thema Schauspiel wollte ich miterleben, bei der er einer der drei Interviewten war.

Lars Eidinger als DJ

DJ Lars Eidinger

Die Party mit Lars Eidinger sollte laut Programm um 22:30 Uhr beginnen und um 3 Uhr morgens enden. Ich war mir nicht sicher, ob ich so lange durchhalten würde und ob ich diese Tanzparty genießen könnte. Doch war diese Veranstaltung auch einzigartig unter den Veranstaltungen des Festivals – der berühmte Schauspieler Lars Eidinger in seiner Eigenschaft als DJ, mit uns direkt durch Musik, durch Rhythmus, durch Tanz „sprechend“, anstatt durch seinen Hauptjob als Schauspieler. Das interessierte mich sehr, und ich meldete ich mich unverzüglich zu dieser Party an.

Panel: Schauspiel mit Lars Eidinger, Hanna Hilsdorf und Antje Traue

Während der Podiumsdiskussion zum Thema Schauspiel sprach Lars Eidinger offen über alles, was er gefragt wurde. Der Interviewer stellte ihm viele Fragen zu seiner Schauspielerei und seinen Alltag, erinnerte ihn an die Anfänge seines Berufslebens, und Lars antwortete schlau auf jede Antwort, ohne alle Thesen des Interviewers zu bejahen oder zu verneinen. Der Interviewer fragte ihn zum Beispiel, wie man erkennt, welches Talent wirklich hilfreich für eine Schauspielerkarriere ist. Seine Antworten waren im Großen und Ganzen mehrdeutig, und er gab nicht an, was oder wer ihm in seiner Schauspielkarriere am meisten geholfen hat, weder nannte er konkrete Namen noch gab er an, welche Art von Hilfe ihm zuteilwurde. Auf die Frage nach der Situation der Türken in der Schauspielerei von Deutschland antwortete er, dass sie im Showbusiness immer noch relativ wenig vertreten seien. Auch im Publikum seien sie unterrepräsentiert. Lars Eidinger gab auch einige witzige Antworten. Ich erinnere mich an viel Gelächter und Beifall im Publikum.

Die freundlichen und entschlossenen Augen von Jack Huston

Eine Sache, die ich nicht vergessen kann zu erwähnen, ist das kurze Gespräch, das Herr Bürkert und ich mit dem berühmten Regisseur Jack Huston auf dieser DJ-Party hatten. Vielleicht lag es daran, dass ich zu der Zeit schon ein paar Drinks intus hatte, aber als Herr Bürkert mich fragte, ob der Mann hinter mir Jack Huston sei, der Regisseur des Opening Night Films Day of the Fight, ermutigte ich ihn, Herrn Huston anzusprechen. Herr Huston war sehr sympathisch, und er sprach mit uns über seinen Großvater John Huston, seine Filmkarriere und seinen vollen Terminkalender. Nach der Opening Night am 16.11.2023 hatte er noch Zeit, am 17. die Heidelberger Altstadt zu besuchen, aber nach der DJ-Party musste er in der Nacht zum 18. November wieder ins Flugzeug nach Los Angeles steigen. Er bedankte sich für unser Lob und unsere Würdigung seiner Filmkunst und drückte seine Hoffnung aus, dass sein Film durch die Erstaufführung in Deutschland ein größeres Publikum bundesweit erreichen kann. Obwohl der kurze Austausch weniger als fünfzehn Minuten dauerte, war ich von seinen freundlichen und entschlossenen Augen berührt. Nach unserem Gespräch machten wir sogar ein Foto, was ein kleiner Höhepunkt des Festivals für mich war.

Der Karlstorbahnhof – Ort kultureller Vielfalt, wo früher die US-Army war

Es gibt auch ein kleines Detail an diesem Filmfestival, das mir im Gedächtnis geblieben ist. Der Veranstaltungsort in Heidelberg war auf dem Gelände eines ehemaligen Hauptquartiers der US-Army, die von 1945 bis 2013 in Heidelberg stationiert war. Auf der Karte habe ich gesehen, dass das Mark-Twain-Center, das sich auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen spezialisiert und einschlägige Ausstellungen zeigt, ebenfalls in der Nähe des Veranstaltungsorts liegt. Ich hörte den Moderator der Preisverleihung sagen, dass der Veranstaltungsort zum ersten Mal Gastgeber des IFFMHs war und dass dieser Veranstaltungsort die erste Wahl in der diesjährigen Ausschreibung des Festivals war, da er erst Anfang des Jahres renoviert worden und zuvor ein leeres Grundstück war. Dieser Ort ist nicht nur ein großer kultureller Veranstaltungsort und mit einem kommunalen Kino, sondern auch ein Zeichen und Symbol für kulturellen Austausch und sozialen Wandel. Dieser Ort, an dem früher eine Kaserne der amerikanischen Garnison stand, wurde in einen Ort der Förderung von kultureller Vielfalt umgewandelt. Der „Karlstorbahnhof“ ist ein Knotenpunkt und ein Schaufenster für den Ideenaustausch und das kulturelle Erbe. Wie in der Themenausstellung „Heidelberg in 50ern Jahren“, die ich vor kurzer Zeit im Kurpfälzischen Museum in der Altstadt gesehen habe, lagen die Bilder dieses Viertels in den 1950er Jahren direkt vor mir, dessen Hintergründe ich bereits kannte, und es war ein ganz besonderes Erlebnis.

Abschließend möchte ich einen kurzen Überblick über meinen Gesamteindruck vom IFFMH geben und darüber, welche Auswirkungen dieses Festival auf mich hatte, über welche Themen ich nach diesem Festival noch nachdenken möchte und was dieses Festival für mich bei meinem Aufenthalt in Heidelberg besonders gemacht hat.

Ich fand das Festival als Ganzes sehr interessant und erfolgreich. Zumindest was die Beteiligung des Publikums und den Dialog zwischen den Regisseuren und dem Publikum angeht, war es meiner Meinung nach sehr gut im Vergleich zum Beijing International Film Festival (BJIFF), das ich während meines Bachelorstudium in Peking dreimal besucht habe, 2021, 2022 und 2023.

Ich habe eine Vorstellung davon bekommen, wie ein echtes Kunstereignis aussehen sollte

Festivaldirektor Dr. Sascha Keilholz

Ich hatte ich von dem Festival erwartet, dass es da sehr geschäftig und anstrengend zugehen werde und es schwierig sei, Tickets zu bekommen. Was den künstlerischen Aspekt angeht, so hatte ich erwartet, dass alles von oben nach unten abläuft und die Regisseure und die Besetzung oder die Gäste einseitig Ideen hervorbringen und Fragen des Publikums beantworten, ohne wiederum dem Publikum Fragen zu stellen oder diese Antworten zu vertiefen. Aber das ist beim IFFMH nicht geschehen, und das ist eine Frage, über die ich seither viel nachdenken muss: Warum werden so viele kulturelle Veranstaltungen in China mehr oder weniger von Propaganda beeinflusst, anstatt rein künstlerische Erfahrungen zu sein? Oder ist es möglich, Literatur und Kunst in China unter solch etablierten sozialen und politischen Bedingungen neu zu beleben? Können mehr Werke entstehen, die von der offiziellen Propaganda abweichen können? Und wie kann China, dessen Image als großes Land sich größtenteils vom Westen unterscheidet, seine Präsenz in der westlichen Kunstszene erhöhen, anstatt in der Vorstellung nur eine fremde sogar exotische Kultur, eine Kuriosität des "Anderen" zu bleiben? Alles in allem ermöglichte mir das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, meinen Sozialisationsprozess während meines Masterstudiums in Heidelberg zu beschleunigen und eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, wie mein Leben in Zukunft und wie ein echtes Kunstereignis aussehen sollte.


 

Über mich

Ich möchte ich mich nochmals kurz vorstellen. Ich bin ein Erstsemester eines Masterstudiums an der Universität Heidelberg. Ich studiere am Institut für Politische Wissenschaft und plane, als Nebenfach noch Volkswirtschaftslehre (VWL) oder Soziologie hinzuzunehmen. Ich habe ein eher einfaches und reines Interesse am Kino, das darin besteht, dass ich in meiner Freizeit gerne Filme anschaue und an filmbezogenen Veranstaltungen und, wie oben erwähnt, an Filmfestivals teilnehme. Außerhalb des Studienalltags fahre ich am liebsten Rad, gehe wandern und erkunde zum Spaß das Unbekannte, und ich freue mich darauf, Freundschaften mit Studenten aus aller Welt zu schließen.